Rehabiltation unter anderen Syringomyelie
Hallo zusammen
Das wichtigste ist in ROT markiert
Dr. med. G. Exner, in: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (Hrsg.) 3. Aufl. 2005
„Rehabilitation und Teilhabe“ – Wegweiser für Ärzte und andere Fachkräfte der Rehabilitation Dt. Ärzte-Verlag, ISBN 3-7691-0420-X (S. 197ff)
Anmerkung zu dem nachfolgenden Text: Der Text ist für Fachleute gedacht und enthält viele medizinische Fachbegriffe, die einem Laien nicht unbedingt verständlich sind. Für medizinische Laien geeigneter sind die Texte aus dem Informationsgruppen-Skript, das ebenfalls im Download-Bereich zur Verfügung steht.
Inhalt:
Überblick: „Spezielle Erfahrungswerte bei Schäden am Rückenmark“ 3.6. Querschnittlähmungen
3.7. Spina bifida cystica (Meningomyelocele)
3.8. Rückenmarkschäden vaskulärer, mechanischer und degenerativer Genese 3.9. Lähmungen einzelner peripherer Nerven
3.10. Polyneuropathien 3.11. Hereditäre primäre Myopathien
3.12. Erworbene sekundäre Myopathien Literatur I: Cerebrale Schädigungsbilder Literatur II: Spinale Schädigungsbilder
3.6. Rückenmarkschäden vaskulärer, mechanischer und degenerativer Genese
3.6.1. Epidemiologie und allgemeine Hinweise
Rückenmarkschäden können durch andere Ursachen ausgelöst werden.
A) Vaskuläre Ursachen:
Das Spinalis-Anterior-Syndrom kann spontan auftreten allerdings auch im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen oder Eingriffen. So ist es eine der möglichen Komplikationen bei Eingriffen aufgrund eines Aortenaneurysmas. Da mit der Schädigung des Endarterienabschnittes das gesamte Rückenmark betroffen wird, ist die Lähmung in der Regel komplett. Das spinale arteriovenöse Missbildungssyndrom (arteriovenöse Fistel) kann ebenfalls eine Rückenmarkschädigung bedingen, besonders dann, wenn es zu einer Blutung mit einer zusätzlichen Kompression des Rückenmarkes kommt.
B) Mechanische Ursachen:
Die Einengung des Spinalkanales mit zunehmender Kompression des Rückenmarkes führt zu Schädigungen. Dabei sind es nicht nur degenerative Prozesse der knöchernen Wirbelsäule, die eine Kompression auslösen. Entzündliche Prozesse mit Abszessausbildung können ebenfalls Kompressionen auslösen wie auch extra- und intradurale Tumoren sowie intramedulläre Neubildungen. In Abhängigkeit von der Ausdehnung der mechanischen Kompressionsprozesse und von der möglichst frühzeitig angewandten Entlastungstherapie entsteht das Ausmaß der Schädigung, insbesondere aber auch die komplette oder inkomplette Lähmung mit der Möglichkeit der Rückbildung.
C) Degenerative Ursachen:
Die primär degenerativen Rückenmarkerkrankungen werden danach unterteilt, welche Anteile des Rückenmarkes von ihnen betroffen sind. Dabei sind
Erkrankungen, die mit einer zusätzlichen Schädigung absteigender motorischer Bahnen auftreten, wie die amyotrophe Lateralsklerose oder spastische Spinalparalyse zu unterscheiden von reinen motorischen Vorderhorn- zellerkrankungen wie z. B. der Poliomyelitis akuta oder der spinalen Muskelatrophie. Betreffen die Schädigungen vorwiegend sensorische Bahnen treten Krankheitsbilder auf wie die Spino-cerebeläre Ataxie ( z. B. Friedreich-Ataxie) oder die funikuläre Myelose.
Die Degeneration des Rückenmarkes kann auch zentrale Anteile betreffen insbesondere als Höhlenbildung im Bereich des Spinalkanales – ein Krankheitsbild, das als Syringomyelie bekannt ist.
Bzgl. der Inzidenz kann man von kleinen Zahlen ausgehen. Alle erwähnten Rückenmarkerkrankungen sind selten, wobei in der Summe der mechanischen Ursachen der höchste Anteil liegt. Für die Prognose der vaskulär oder mechanisch bedingten Erkrankungen sind bereits Aussagen getroffen worden. Für die degenerativen Veränderungen ist die Progredienz von Bedeutung. Ein mehr oder minder rasches Voranschreiten der Funktionsausfälle ist in der Regel vorgegeben.
3.6.2. Körperstrukturen und Funktionen
Wie bei allen erworbenen Querschnittlähmungen ist der Funktionsausfall bedingt durch die Höhe der Rückenmarkschädigung. Endarterien gibt es im Verlauf des gesamten Spinalorganes, so dass sowohl Tetra- als auch Paraplegien auftreten können. Gleiches gilt für die mechanische Kompression welcher Ursache auch immer. Unterschieden werden müssen die vorwiegend degenerativen Rückenmarkveränderungen mit ihrer eher auf bestimmte Systeme begrenzten Schädigung. Sind die motorischen Systeme betroffen, folgen fortschreitende Muskelatrophien an Zunge oder oberer Extemität beginnend, dazu zunehmende spastische Komponenten.
Sind vorwiegend sensorische Systeme betroffen, wird vor allem die Koordination der Bewegungsabläufe durch das Fehlen von Lage- und Bewegungssinn ausfallen.
Die Syringomyelie beginnt fast immer mit einem Schmerzsyndrom. Zu dem finden sich Störungen in der Sensibilität und Schmerzempfindlichkeit. Im Gefolge kommt es zu einem zusätzlichen Betroffensein der motorischen Bahnen mit entsprechenden Muskelatrophien.
Die Progredienz dieser Erkrankung ist unterschiedlich, hat aber fast immer zur Folge, dass die Betroffenen eine zunehmende Einschränkung der Geh- und Greiffähigkeit erleiden. BeiALS-Patienten oder einer Friedreich’schen-Ataxie treten zusätzlich Schluck- und Sprechstörungen auf, häufig als Frühsymptom.
3.6.3. Aktivitäten und Teilhabe
Für Erkrankungsbilder vaskulärer oder mechanischer Ursache wird verwiesen auf das Kapitel der traumatischen Querschnittlähmungen. Für die degenerativen Rückenmarkschäden ist die Progredienz der entscheidende Faktor bzgl. weiterer Aktivitäten. Die abnehmende Mobilität und der zunehmende Anteil an Fremdhilfebedürftigkeit wird zu einer notwendigen Versorgung mit Hilfsmitteln sowie zur Übernahme pflegerischer Aktivitäten durch entweder Familienangehörige oder eine Pflegegruppe führen.
Insbesondere im Falle der ALS, aber auch bei der Friedreich’schen-Ataxie wird der Verlauf in totaler Pflegeabhängigkeit enden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es das Behandlungsziel, möglichst lange den Funktionsstatus so zu halten, dass die Teilnahme am öffentlichen Leben und möglicherweise auch im Beruf erhalten bleibt, so lange es möglich ist. Hierzu gehören nicht nur die Zurüstung des Wohnraumes und des Arbeitsplatzes, auch die Erhaltung der Mobilität in der Versorgung mit einem behindertengerech t zugerüsteten Fahrzeug ist notwendig.
3.6.4. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Auch hier sei verwiesen auf frühere Kapitel. Gerade für die degenerativen Veränderungen des Rückenmarkes gilt im Gegensatz zu der funktionserhaltenden Therapie bei erworbenen Querschnittlähmungen aufgrund einer Traumafolge, dass bei zunehmendem Funktionsverfall die Therapie so angepasst wird, dass keine zusätzliche Schädigung eintreten kann. Bei Sprechstörungen oder dem zunehmenden Unvermögen zu schlucken, sind rechtzeitig Kommunikationswege zu bahnen und alternative Möglichkeiten der Ernährung (PEG) anzustreben.
3.6.5. Teilnahme am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft sind abhängig von der zunehmenden Unselbständigkeit des Betroffenen und dem daraus resultierenden Pflegebedarf. Die Unterstützung pflegender Angehöriger und die rechtzeitige Organisation individueller Pflege kann hilfreich sein in der Vermeidung einer Heimunterbringung.
Hilfreich ist auch die Kontaktaufnahme mit Selbsthilfegruppen.
3.7. Lähmungen einzelner peripherer Nerven
3.7.1. Epidemiologie und allgemeine Hinweise
Die periphere Nervenläsion unterscheidet sich von der zentralen dadurch, dass im Grunde reparative Vorgänge möglich sind durch Aussprießen der Axone innerhalb der Myelinscheide. Betroffen sein können die großen Geflechte (Beinplexus) oder aber einzelne Nerven dieser Geflechte. Dies ist besonders von Bedeutung an den oberen Extremitäten, bei denen das Zusammenspiel der Nervi radialis, medianus und ulnaris die Greifakte ermöglichen. Einzelne Ausfälle stören dieses Zusammenspiel, schalten aber nicht die Gesamtfunktion aus. Das ist bei der Ischiadicuslähmung des Beines anders. Hier entscheidet eher die Höhe der Läsion. So ist der Ausfall des Nervus peronaeus für das Gangbild mit Hilfsmitteln leichter zu kompensieren als die Gesamtschädigung des N. ischiadicus.
Ursachen der Nervenschädigungen können Trauma, Entzündungen, Engpasssyndrome, Tumoren oder Narben sein. Man unterscheidet die Neuropraxie als vorübergehende Schädigung ohne strukturelle Veränderungen und Strukturschäden von der Axonotmesis, der Axonunterbrechung und der Neurotmesis, der Gesamtschädigung von Axon und Myelinscheide.
3.7.2. Struktur und Funktion
Die obere Armplexuslähmung (Nervus axillaris) beeinflusst vorwiegend die Schulterbeweglichkeit. Aus der Schulter heraus kann der Arm nicht die noch greiffähige Hand in die gewünschte Richtung bringen. Die untere Plexuslähmung betrifft eher die Handfunktion. In beiden Fällen ist die Greiffunktion des betroffenen Armes gestört. Gleiches gilt für die Plexusschädigung am Bein, eine Gang- oder Standfunktion ist nicht möglich.
Einzelläsionen der Armnerven betreffen mit dem Nervus radialis die Streckfähigkeit von Handgelenk und Fingern (Fallhand). Die Schädigung des Nervus medianus führt zu Beugeverlust von Daumen und radialen 2 Fingern (Schwurhand). Die Schädigung des Nervus ulnaris führt aufgrund des Fehlens der intrinsischen Muskulatur zur Krallenhand.
3.7.3. Aktivitäten und Teilhabe
Für die Aktivitäten und die Teilhabe am täglichen Leben sind diese Funktionsausfälle, die die Greifformen der betroffenen Extremität oder das Gangbild extrem beeinträchtigen und zum
Teil sogar zum Verlust der Funktion führen, von Bedeutung. Dieser Verlust betrifft in der Regel nur eine Extremität und kann möglicherweise ausgeglichen werden.
3.7.4. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Zur medizinischen Versorgung gehören dabei im Falle operationswürdiger, prognostisch günstiger Nervenschädigungen Wiederherstellungsverfahren wie Nerventransplantationen oder das Umsetzen funktionstüchtiger Sehnen und Motoren zum Ausgleich zu Verlust gegangener Funktionen (Sehnen und Muskeltransfer). Anderenfalls kommen Hilfsmittel wie Schienen zum Erreichen einer günstigen Funktionsstellung zum Tragen. Spezialisierte Physiotherapie insbesondere aber Ergotherapie schult restliche Funktionen auf oder trainiert Ersatzverfahren.
3.7.5. Teilhabe am Arbeitsleben und in der Gemeinschaft
Bzgl. der Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft sind die Arbeitsplätze zuzurüsten, ggf. auf sitzende Tätigkeiten oder einarmiges Arbeiten. Die Integration in die Gemeinschaft ist in der Regel zu erreichen. Wohnungsanpassungen sind nicht notwendig, es sei denn im extremen Fall der Mehrfachschädigungen an den Extremitäten. Kraftfahrzeuge können adaptiert werden insbesondere auf Einarmigkeit oder auf einzelnen Handbetrieb.
3.8. Polyneuropathien
3.8.1. Epidemiologie und allgemeine Hinweise
Unter Polyneuropathien werden Erkrankungen zusammengefasst, die an verschiedenen Lokalisationen auftreten können und dabei alle Formen von der Axondegeneration bis hin zur Demyelinisierung aufweisen. Besonders bei den ersteren ist die Prognose bzgl. der Progredienz als kritisch zu sehen. Unterschieden werden:
1. Das Guillain-Barré-Syndrom
Es handelt sich um eine entzündliche Radikulo- und Neuropathie auf autoallergischer Grundlage, die mit einer Hirnnervenbeteiligung auch als Fisher-Syndrom bezeichnet wird.
2. Polyneuropathien können distal betont und symmetrisch sowohl sensorisch als auch motorisch auftreten.
3. Es gibt Polyneuropathien , die asymmetrisch auftreten und dabei einzelne und meist große proximale Nervenhauptstämme betreffen.
Für das GBS wird eine Inzidenz von 1,7 pro 100.000 Einwohne und Jahr angegeben. Für die Polyneuropathie-Syndrome existieren keine einheitlichen Zahlen aufgrund der Vielfältigkeit ihrer Entstehungsursachen.
3.8.2. Körperstruktur und Funktion
Die vorwiegend peripher anzusiedelnden Krankheitsbilder ziehen je nach Betroffensein einzelner Nervenfaserabschnitte Ausfälle mit sich, die sowohl die Motorik als auch die Sensorik und das Vegetativum betreffen. Besonders eindrucksvoll ist das GBS mit einem sich progredient entwickelndem Lähmungsbild bis hin zur Beatmungspflicht. Die ähnlich einer hohen Tetraplegie sich ausprägende Lähmung führt nicht nur zu Verlusten der Motorik und Sensibilität sondern auch zu lebensbedrohlichen Ausfällen des autonomen Systems mit Bradykardie, Kreislaufinsuffizienz, vorübergehender Darmatonie und selbstverständlich auch zur Blasen- und Mastdarmlähmung. Insofern besteht in der akuten Phase häufig Überwachungspflicht auf einer Intensivstation. Die Prognose ist abhängig vom Wiedereintreten einer Erholung ausgefallener Funktionen. Eine frühe Besserung berechtigt zur Hoffnung auf eine gute Reinnervation, späteres Eintreten bedingt häufig bleibende neurologische Defekte und langandauernde Rehabilitationsbehandlung.
Bei den eher peripheren Polyneuropathie-Syndromen hängt das Behandlungsergebnis am ehesten ab von der Progredienz der Erscheinungen, insbesondere, wenn sie verursacht sind durch Faktoren, die eine Verschlimmerung begünstigen. Ist eine ursächliche Behandlung dieser Faktoren möglich, kann es zu einer Verbesserung des Funktionszustandes kommen.
3.10.3 Aktivitäten und Teilhabe
Im Falle einer erfreulichen Remission wird der GBS-Erkrankte in die Aktivitäten des täglichen Lebens wieder einzureihen sein. Auch bei Defektheilungen wird dies möglich sein mit einer entsprechenden Schulung von Funktionen, die zum Ersatz von zu Verlust gegangener Fähigkeiten geeignet sind und mit einer geeigneten Hilfsmittelversorgung. In einigen Fällen wird Rollstuhlabhängigkeit verbleiben und insofern die aktive Teilnahme an sozialen Prozessen im nicht behindertengerecht zugerüsteten Raum erschweren (siehe hierzu auch das Kapitel Querschnittlähmung). Periphere, solitäre Schäden sind mehrheitlich gut ausgleichbar, bei multilokulärer Präsenz muss ein höherer Aufwand an Versorgung betrieben werden entsprechend den Erfordernissen eines Rollstuhlfahrers oder Fußgängers mit Hilfsmitteln. Die familiäre Einbindung ist von großer Bedeutung, andernfalls die individuelle Versorgung mit Pflegekräften zur Erhaltung eines individuellen Unterbringungsstandards.
3.10.4. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Insbesondere beim Guillain-Barré-Syndrom sind die Behandlung der akuten und der Remobilisationsphase in einer entsprechenden Spezialeinrichtung notwendig. Dabei stehen zunächst die Maßnahmen zur Erhaltung des Lebens und die Bekämpfung der Grundkrankheit im Vordergrund häufig unter Verwendung einer intensivmedizinischen Abteilung. Eher periphere Syndrome sind ätiologisch abzuklären und von der Grunderkrankung her zu behandeln. Allen diesen Polyneuropathieformen ist eine intensive Behandlung angedeihen zu lassen in Form von geeigneten physiotherapeutischen Methoden sowie Behandlungs-maßnahmen der Ergotherapie inklusive einer geeigneten Hilfsmittelversorgung. Bei allen ernährungsbedingten Ursachen insbesondere Noxen wie Alkohol ist eine Ursachenbekämpfung auf gesprächstherapeutischer Basis angezeigt.
Selbsthilfegruppen sind zu kontaktieren.
3.10.5. Leistung und Teilhabe am Arbeitsleben und Leben in der Gemeinschaft
Bei günstiger Prognose und Ausheilung mit geringen Residuen ist der Erkrankte mit einem GBS in seinen alten Arbeitsplatz zu reintegrieren und kann in seine alte Häuslichkeit zurückkehren. Für alle Defektausheilungen ist in Abhängigkeit von den Funktionsverlusten der Arbeitsplatz zuzurüsten oder aber eine Umorientierung vorzunehmen. Die Hilfsmittelausstattung für die Häuslichkeit, aber auch für den evtl. Arbeitsplatz muss individuell angefertigt und erprobt werden. Zur ausreichenden Mobilität ist ein geeignetes Kraftfahrzeug entsprechend zuzurüsten.
3.11. Hereditäre primäre Myopathien
3.11.1. Epidemiologie und allgemeine Hinweise
Die Muskeldystrophie ist zurückzuführen auf eine fortschreitende, systemische Degeneration der Skelettmuskulatur, ein Vorgang, der in der Regel auf hereditärer Grundlage entsteht. Der Typ „Duchenne“, auch als progressive Muskeldystrophie bezeichnet, hat eine Inzidenz von 1 auf 3.300 Geburten beim männlichen Geschlecht. Der Typ „Kurschmann-Steinert“, auch als Dystrophia myotonica bezeichnet, tritt in einer Häufigkeit von 1 : 10.000 auf.
3.11.2. Struktur und Funktion
Die Progredienz der Funktionsausfälle ist das entscheidende Kriterium dieser Erkrankungen. Am schlimmsten verläuft die „progressive Muskeldystrophie“, die bereits im Kindesalter erste
Anzeichen an Becken und den unteren Extemitäten aufweist. Meistens tritt noch in der Jugend Rollstuhlabhängigkeit ein und im Stadium des jungen Erwachsenen, bei aufsteigenden Ausfällen, eine respiratorische Insuffizienz und auch eine Herzmuskelschwäche, die insgesamt die Lebenserwartung des Betroffenen stark vermindern. Die Muskeldystrophie vom Typ Kurschmann-Steinert charakterisiert sich durch weitere Organdefekte mit Beteiligung der Sehfähigkeit, des Cerebrums und der Gonaden. Vorherrschend ist eine ausgeprägte Steifheit der Muskulatur, so dass zum Bespiel alle Formen der koordinationsaufwendigen Feinmotorik hochgradig beeinträchtigt sind. Andere Formen der kongenitalen, metabolischen Myopathien zeichnen sich, wie auch die o.g.
Erkrankungen, durch einen fortschreitenden Verlust der Muskelkraft aus, der typische Komplikationen mit sich bringt aufgrund der Haltungsschwäche am Achsenorgan sowie an den großen Gelenken durch Kontrakturen. Grundlage der Muskeldystrophie ist ein zunehmender Umbau der Muskelfasern zu fibrotischen Anteilen.
3.11.3. Aktivitäten und Teilhabe
In den Anfangsstadien der Erkrankung ist die Aktivität zur Teilhabe am täglichen Leben wenig eingeschränkt, wird aber mit zunehmender Progredienz deutlich schlechter. Dabei ist eines Teils die Mobilität betroffen mit zunehmender Abhängigkeit vom Rollstuhl als auch die Selbständigkeit für die Verrichtungen des täglichen Lebens. In den raschen Verläufen der progressiven Muskeldystrophie ist schon sehr früh mit einem absoluten Verlust der Selbständigkeit zu rechnen.
3.11.4. Kontextfaktoren
Personenbezogen ist gerade bei progressiven Verläufen die Situation kritisch für die Betroffenen. Gerade im Kindesalter, aber auch mit dem weiteren Heranwachsen und der Pubertät, wird die zunehmende Isolierung durch fehlende Teilnahme an den Aktivitäten der Altersgenossen deutlich. Die Motivation des Betroffenen zu erhalten, seine Lebensführung auf seine Bedürfnisse einzustellen, wird zunehmend schwerer. Die familiäre Einbettung spielt eine entscheidende Rolle in dem Erhalt der Motivation, ebenso die Bemühungen, soziale Beziehungen innerhalb der Altersgruppe zu erhalten.
3.11.5. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Bei der progressiven Muskeldystrophie wie auch bei den anderen beschriebenen Formen, besteht das Behandlungsziel darin, möglichst viel an Funktionen zu erhalten und zunehmende Schädigungen zu vermeiden. Insbesondere ist ein übliches Muskeltraining kontraindiziert, da dies eine Verschlimmerung des Zustands zur Folge hat. Ziel ist es daher,
die vorhandene Muskelkraft zu erhalten durch Training von Funktions- und Bewegungsabläufen, die kraftschonend sind. Dazu gehört auch die rechtszeitige Versorgung mit arbeits- und mobilitätserleichternden Hilfsmitteln, insbesondere auch zur Kommunikation (PC). Einen Schwerpunkt der Behandlung stellt die Ergotherapie dar, die für die Aktivitäten des täglichen Lebens Ersatzfunktionen oder Hilfsmittel individuell zu finden und zu erproben hat. Ebenso frühzeitig sind kraftschonende Pflegemechanismen einzusetzen (z. B. Lifterversorgung), um möglichst lange den Funktionszustand stabil zu halten.
3.11.6. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft
Mit einem individuell zugerüsteten Arbeitsplatz und entsprechender Ausrüstung mit Arbeitsmaterialien kann sicher über eine längere Zeit die bisherige Tätigkeit ausgeübt werden. Im Falle der progressiven Muskeldystrophie muss auch weiterhin die Schule besucht werden. Bei kritischer Progredienz muss auf eine Ausübung von Schulausbildung und Beruf verzichtet werden, um auch hier Reserven der Funktion zu erhalten. Ansonsten gilt der Grundsatz: Im Rahmen der noch bestehenden Funktion so viel als möglich an Selbständigkeit zu erhalten, um am allgemeinen Leben teilnehmen zu können. Das bedeutet die Abnahme aller Belastungsmomente des Alltags durch pflegerische Hilfe und die Erleichterung der Tätigkeiten durch die Ausstattung mit Hilfsmitteln.
3.12. Erworbene sekundäre Myopathien
3.12.1. Epidemiologie und allgemeine Hinweise
Aus der Vielzahl meist gut behandelbarer und reversibler Muskelaffektionen sollen die besprochen werden, die die Möglichkeit einer bleibenden Defektheilung mit sich bringen.
1. Die Dermatomyositis entsteht aufgrund einer Antikörperreaktion gegen verschiedene Bestandteile der Skelett- aber auch der Herzmuskulatur. Befallen ist auch die Haut. Bei schweren Verlaufsformen muss durchaus mit Defektheilungen gerechnet werden. Eine Sonderform ist die juvenile Dermatomyositis mit der Bezeichnung Calcinosis universalis.
2. Die Myastenia gravis ist ebenfalls den Autoaggressionserkrankungen hinzuzurechnen. Auch hier ist das Hauptsymptom die Muskelschwäche, wobei besonders häufig die Augenmuskeln und die Schluckmuskulatur betroffen sind. Betroffen sein können aber auch die Arme, weniger die Beine.
3. Die idiopathische Polymyositis, aber auch die Einschlusskörpermyositis sind Sonderformen toxischer oder entzündlicher Genese.
3.12.2. Körperstrukturen und Funktion
Allen besprochenen Krankheitsbildern ist die Muskelschwäche zu eigen mit entsprechenden Funktionsverlusten, die in besonders schweren Fällen durchaus auch Defektheilungen zeitigen können. Im Falle solcher Defekte wird es zu Störungen bei den Aktivitäten zur Teilhabe am täglichen Leben kommen, ein eher seltenes Ereignis.
3.12.3. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Die Behandlung besteht in der Bekämpfung der Ursache. Meistens wird mit Kortikoiden oder Immunsuppressiva eine Heilung erzielt werden können. Lediglich bei der Einschlusskörpermyositis ist das Ansprechen auf diese Therapie unsicher.
3.12.4. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft
Lediglich in Fällen verbleibender Defekte wird es zur Störungen kommen. Im Übrigen sei auf die vorhergehenden Kapitel verwiesen.
Literatur I: Cerebrale Schädigungsbilder
Kaps, v. Reutern, G.-M.: Ultraschalldiagnostik in der Neurologie Thieme-V.
Literatur II: Spinale Schädigungsbilder
Baer AG, Exner G (ed). Functional Electrical Stimulation in Paralyzed Respiratory
Muscles, Tampere University Press, 2000
Delbrück H (Hrsg.). Rehabilitationsmedizin
Urban & Schwarzenberg, München, 1996
Gerner HJ (Hrsg.). Querschnittlähmung – Neue Behandlungskonzepte
Steinkopff, Darmstadt, 2003
Grüninger W (Hrsg.). Spinale Spastik
Ueberreiter Wissenschaft, Berlin Heidelberg, 1990
Grüninger W (Hrsg.). Nichttraumatische Querschnittlähmungen
Steinkopff, Darmstadt, 2003
Harris P(ed). Spinal Cord – German Regional Issue Stockton UK, 1997
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften
Zur Neuordnung der Behandlungszentren für Querschnittgelähmte in der Bundesrepublik Deutschland mit Planungsrichtwerten für Neubauten
3. Auflage, St. Augustin, 1995
Meinecke FW (Hrsg.) Querschnittlähmungen – Bestandsaufnahme und Zukunftsaussichten
Springer, Berlin Heidelberg, 1990
Stöhrer M (Hrsg.) Urologie bei Rückenmarkverletzten
Springer, Berlin Heidelberg, 1979
- Vorstellung neue Ärzte
- Neue Ärzte in unserem Wissenschaftlichen Beirat
- Umfrage
- Wichtig!
- Therapien / Behandlungen
- Kliniken
- Rehakliniken
- Rentenversicherung
- Versorgungsamt
- Krankenkasse
- Mitgliederinformationen
- Wünsche - Anregungen
- Kritik
- Sonstiges
- Rechtliches
- Sonderkonditionen
- T-Shirts für DSCM-Mitglieder
- Behindertenfreundliche Urlaubsquartiere und Hotels
- Naturheilkundliche Hausapotheke
- Vorstellung
- Erfahrungsaustausch
- Sonstiges
- Das muss mal gesagt werden
- Wer trifft sich wo
- Erfahrungsaustausch Physiotherapie und Osteopathie
- Wissenswertes
- Glückwünsche
- Witziges
- Alles mögliche
- Austausch
- Elterngespräche
- Termine
- Sonstiges
Jetzt anmelden!
Jetzt registrieren!